Kairo
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AGITATION FREE - Portrait einer Band

Road to Cairo

Das Jahr 1972

In Berlin hatten wir im Januar angefangen, Berliner Musiklehrer auf Improvisationsrock anzutörnen und ließen sie mit ihren Schulklassen ins sogenannte "Beat-Studio" kommen, um denen etwas über Avantgarde, Rock und elektronische Musik zu erzählen. Der Andrang war ziemlich groß, aber trotzdem hörten wir im März auf die Sache weiter zu betreiben, da wir uns auf Kairo vorbereiten wollten.

Am 4.April flogen wir vom Flughafen Berlin-Tempelhof nach München. Ein paar Stunden und Whiskys mußten wir warten und dann ging es in die Maschine nach Kairo. Das Flugzeug war voll besetzt mit griechischen Gastarbeitern, die zum Osterfest nach Hause wollten. In Thessaloniki machen wir eine Zwischenlandung. Der Flughafen - nur eine Grasnarbe, zwei Düsenjäger und sonst nur unsere Boing 727. Das Flughafengebäude ist im Bau. Die Griechen verlassen das Flugzeug, nur noch 10 Leute ausser uns. Warten - . In Deutschland waren zwei Pockenfälle bekanntgeworden. Es stellt sich heraus, das einige der Griechen kein Impfzeugnis haben, also wieder zurück von der Startpiste zum Abfertigungsgebäude, eventuell müssen diese Leute wieder mit. Der Pilot schimpft über Mikrophon. Es regelt sich aber doch alles und wir dürfen weiterfliegen. Ein dufter Flug, "Lüül" und ich flirten mit einem schönen Mädchen, das leider in Kairo nur umsteigt. Sie will nach Zentralafrika zu ihrem Verlobten - Schade. Neben mir auf der rechten Seite, dazwischen der Gang, - ein "Bonze" von Krupp, "incognito", wie er sagt.

Wir kommen schließlich gut gelaunt in Kairo an. Gleich der erste Augenblick hat uns fürchterlich geflippt: Abends 10 Uhr und draussen 30 Grad Wärme, in Berlin waren Minus-Grade. Ein irres Treiben, fremde Leute und "sweet smell of perfume". Dann Hartmut Geerken vom Goethe Institut, ein dufter Typ, und ganz anders als wir ihn uns vorgestellt haben. Er ist Free-Jazz-Fan, hervorragend, das geht ja schon irgendwie etwas in unsere Richtung! Mit dem Instituts-eigenen VW Bus gehts dann zum Hotel. Dem Bus fehlt teilweise die Frontscheibe. Übermütig Steine werfende Kinder, normal in Ägypten, erklärt man uns. Anschließend treffen wir Christian Nakonz wieder. Im Haus von Geerken plaudern und feiern wir noch bis in die frühen Morgenstunden.

Am nächsten Tag soll das Konzert sein und unsere Anlage, die wegen der Kosten nicht als Übergepäck, sondern als Luftfracht mitflog, muss aus den Händen des Zolls geleiert werden. Leider geht die Sache schief und wir müssen die beiden netten Herren, die uns auf Anweisung von Herrn Sadat (Goethe-Institut-Freund und selbst Jazz-Musiker) schon am Vorabend zusammen mit Herrn Geerken durch den Zoll geschleust hatten, noch einmal bemühen. Doch bevor sie zum Einsatz schreiten können, wird der Zoll geschlossen, Pech. Das Konzert wird verschoben. Wir erwarten die Konzertbesucher am Eingang der Halle und erklären ihnen auf Englisch, weshalb das Konzert verschoben werden muß. Auch gut, Malesch... wir lernen zum ersten Mal das Wort kennen, das wir als Titel unserer ersten LP verwenden werden. Malesch = nimm's leicht, macht nichts. Das wichtigste Wort in Ägypten. Wir nehmen´s auch auf die leichte Schulter. Bei dieser Gelegenheit lernen wir ein paar Deutsche in unserem Alter kennen - Söhne und Töchter dort ansässiger Diplomaten. Eine halbe Stunde später hat Joshi seine ständige Begleitung während des Ägypten-Aufenthalts getroffen, eine flotte Dame von - na sagen wir, schätzungsweise 16 Jahren. Unschlüssig, was wir nun tun sollen, entscheiden wir uns für's Essengehen. Ziel wird ein Nachtclub namens Sahara City, ein altes Zelt, das seinerzeit König Faruk seiner Lieblingsfrau geschenkt hat. Zuvor haben wir unseren ersten Kontakt mit den Pyramiden, weil man uns dort erst einmal vorbeikutschiert, denn der Nachtclub befindet sich in ihrer Nähe. Gigantisch, wir sind erschlagen!

Nachher im Zelt gutes Essen, Musik und Bauchtanz und ein Ägypter, der spontan mit der dort spielenden Kapelle mitsingt. Ich lasse mein Tonbandgerät laufen, das ich fortan auf Schritt und Tritt mitschleppen werde. Die Aufnahmen werden später als O-Ton auf der Malesch-LP verwendet.

Am nächsten Tag findet das Konzert statt. Vom Fellachen bis zur fast kompletten amerikanischen Botschaft - Alle da. Eine runde Stimmung.

Tags darauf Party bei Nakonz. Wir nehmen unsere Anlage mit. Erst spielt eine ägyptische Band zum Tanzen und dann kommt das Chaos mit Namen Agitation Free. Wir spielen wilde Improvisationen und gegen Ende steigt Hartmut Geerken auch noch auf dem Klavier ein. Dann wieder Tanz, Cocktails und Jet Set. Irgendwie komisch weil ungewohnt. Zum Schluß bleiben nur noch Nakonz, Geerken nebst Anhang und unsere Chaotentruppe übrig. Um fünf Uhr früh gehts ab ins Hotel.

Am nächsten Tag Kinogang in ein Freilichtkino, ungewohnt aber schön. Dann lernen wir einen Entwicklungshelfer namens Hubertus von Puttkamer kennen, der heute in Berlin wohnt und Professor an der Technischen Fachhochschule ist. Er drehte an den Pyramiden von Sakkara mit uns einen Super-8 Film, der auch ausschnittsweise auf dieser Webseite zu sehen ist und kümmerte sich während unseres Aufenthalts in Kairo rührend um uns.

Während der folgenden Tage laufend neue Eindrücke. Ich lerne meine ständige Begleiterin während dieser Tage kennen, Nina, eine nette Bulgarin aus der deutschen Schule, für die ich eine andere stehen lasse (entschuldige bitte Nadja, ich war ein Stiesel), "Lüül" und Burghard kümmern sich um eine bildhübsche Ägypterin mit akzentfreiem Deutsch: Laila. Für sie schrieb "Lüül" ein gleichnamiges Stück. Es ist Bestandteil der zweiten LP "Second".

Am 11. April gehts nach Alexandria. Nach Kairo haut mich nichts mehr um, im Gegenteil, ich finde es langweilig. Dafür interessiert mich die Nil-Delta-Straße umsomehr, Mig-Düsenjäger stehen am Straßenrand in überdimensionalen Bauernhäusern: Tarnung, der Krieg gegen Israel ist nicht lange her.

Auftritt in Alexandria: statt der bestellten PA steht nur eine Hi-Fi Anlage als Beschallung für einen tausend Personen fassenden Saal zur Verfügung. Obendrein haben wir alle Schlagzeug-Metallteile in Kairo vergessen. Das Motto der Band, Improvisation, ist angesagt. Eiligst herbeigeschaffte Notenständer dienen als Ersatz. Zu allem Überfluss fällt der Strom während des Konzertes aus. Ich robbe am Stromkabel entlang, um die Sicherung zu finden. Derweil bemüht sich Burghard, das Publikum auf seinem Apfelsinenkisten&Notenständer-Schlagzeug gut zu unterhalten. Der Stromausfall war ein Ägypter, der die Beine nicht heben konnte, der Stecker (zwei lose Kabel) ist aus der Steckdose gerutscht. Malesch! Zu Glück nur einen Tag Aufenthalt in Alexandria, dann back to Kairo!

Angekommen erfahren wir: Unser Konzert in Damaskus fällt aus. Daheim ist der deutsche Bundespräsident Herr Lübke (Zitat: Sehr geehrte Anwesende, liebe Neger...) gestorben, also in Sachen Pietät usw. usw. - Dufte, noch ein freier Tag in Kairo.

Am 15. April gehts weiter mit dem Flugzeug nach Beirut. Große Abschiedszeremonie, Tränen ... we´ll be back sometime.

In Beirut herrscht ein fürchterliches Durcheinander. Das Konzert wurde vorverlegt. Anstatt in Beirut, sollen wir nun zuerst im 80 km entfernten Tripoli spielen. Was mit unserer Anlage geschieht, hängt vom Zoll ab. In Kairo hatte Bestechung geholfen und auch hier waren die netten Herren vom Goethe-Institut behilflich, sie kennen ihre Pappenheimer und lächeln. Höni muß vorführen, daß sein Synthesizer ein Musikinstrument und keine Zentraleinheit für Spionage oder gar eine Bombe ist. Um sieben ist die Anlage dann startklar. Hubert Eichheim vom Goethe-Institut Tripoli holt uns ab. Der Transporter mit der Anlage fährt später ab als wir. Hubert ist gut drauf und kennt die Küstenstraße gut. Ich darf nicht aus dem Fenster gucken, 80m fällt der Felsen auf dem die Straße ist bis zum Meer ab, dazu viel Verkehr. Die Straße ist 4m breit und Hubert fährt 140. Am liebsten hielte ich mir die Augen zu. Joshi hat´s gut, der schläft. Hubert steuert seinen 280er SE zielsicher durch die Brandung entgegenkommender Autos. "Wenn ich das überlebe...", denke ich bei mir. Nun, wir kommen glücklich an, unsere Anlage allerdings später, doch das Publikum wartet geduldig und hilft sogar beim Entladen. Nach dem Konzert gehen wir gut Essen, "Lüül", Burghard und Höni danach ins Hotel, Joshi und ich noch zu den Eichheims. Erst einmal baden wir und entfernen die aus Ägypten mitgereisten Flöhe, wobei Frau Eichheim, die aus Griechenland stammt, mit guten Tips zur sicheren Flohentfernung dienen kann.

Am 16.April fahren wir zurück nach Beirut zum nächsten Gig. Vor dem Konzertsaal, einer alten Kirche, sitzt ein alter Freund aus Berlin, Franz aus der Kommune 1, lächelt und sagt "Hallo", als ob wir uns auf dem Kurfürstendamm begegnen würden. Wiedersehensfreude.

Agitation Free in Beirut

Fame und Lüül beim Konzert in Beirutfür nähere Informationen bitte anklicken
Über dieses Konzert in Beirut ist uns noch ein Zeitungsartikel erhalten geblieben.

Nach dem Konzert spricht uns ein schmächtiger Libanese an. Sein Name ist Assaad. Er spricht französisch und wohnt in Paris. Später sollte er alle Frankreich-Tourneen von Tangerine Dream, Ash Ra Tempel, Klaus Schulze, Can und Agitation Free organisieren. Irgendwann vertrat er alle Bands, die bei Virgin-Records unter Vertrag waren.

Am 17. erholen wir uns am Strand, um am 18. in Nicosia (Zypern) fit zu sein. Als wir mit unseren Instrumenten das Flugzeug betreten, lächelt uns der Pilot an und sagt "I fly the airplane, You play for us today, a deal?". Zum Glück läuft mein Tonband. Mit diesen seinen Worten beginnt später die LP Malesch.

Zypern ist sehr ruhig, das Hotel gehört zwei englischen Ladies, terrible english food. Fernsehinterviews, Chauffeur, wir fühlen uns wie die Rolling Stones, immerhin sind wir eine der ersten Rockbands in diesen Breiten. 


Eintrittskarte für das Konzert in Nicosia

Einladungskarte zum Agitation Free Konzert des Goethe-Institutes in Nicosia

Am letzten Tag besaufe ich mich fürchterlich. Unser Gastgeber vom Goethe-Institut hat nur Gin vorrätig. Im Hotel kotze ich ins Waschbecken. Gott, ist mir das peinlich, vornehmlich wegen Burghard, der mit mir das Zimmer teilt.

Ab nach Athen, wo wir am 21. April spielen. Dort lernen wir griechische Rockgruppen kennen, von denen uns eine endlich ein paar brauchbare Anlagenteile für das Konzert borgt. Herzlichen Dank, Jungs. Alle klagen über die Junta, man zeigt uns ein Underground-Lokal namens "Kitharo" und Joshi hat schon wieder ´ne Braut. Die Jungs vom Goethe-Institut sind rührig und helfen dem Underground so gut wie möglich. Eigentlich erstaunlich, bis auf den Herrn in Alexandria waren alle Goethe-Instituts-Leute erste Klasse, wirklich.

Das Konzert in Thessaloniki fällt wegen deren Revolutionsfeiertage aus. Na Prost denn auch!

Voll von Eindrücken, erlesenen Speisen, Getränke und des Lobes über neue Freunde fliegen wir ab nach Hause.

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